An einem Oktoberabend 2016 war ich nach dem Besuch einer Immobilien-Messe unterwegs in einer Münchner S-Bahn. Meine Gedanken waren an dem Tag ununterbrochen dem Thema Zukunft der Immobilienbranche gewidmet, bis ich hinter mir plötzlich einen Mann hörte, der gleich nach dem Betreten des Fahrgastraums nahezu ununterbrochen schimpfte. Seine aggressive Stimme und die Ausdrucksweise waren gegen eine unbekannte Frau gerichtet, die zwar nicht anwesend aber Gegenstand seiner starken, verbal ausgeprägten und vom Alkohol beeinflussten Emotionen war. Seine Aufregung kam schließlich auf einen der älteren Insassen über: Die Ausdrucksweise sei unerhört und beschämend, der Mann möge sich doch beruhigen, meinte der ältere Mann. Die Situation wirkte auf mich störend – ich konnte mich auf meine Gedanken nicht mehr konzentrieren und empfand das Verhalten des aufgeregten Manns als barbarischen Einbruch in meine geordneten Gedankengänge. Doch meine Gelassenheit war zunächst großzügig genug, um dem Mann sein Recht auf Aufregung zuzuerkennen, – bis ich dann hörte, wie er das Thema der unbekannten Frau wechselte und sich nun mit der gleichen Energie und Ausdrucksweise auf den Insassen stürzte. Dann waren noch andere weiblichen Stimmen hörbar, die den Insassen in seiner Position unterstützten.
Kurze Zeit später hörte ich die Empörung darüber, dass der alkoholisierte Mann den Insassen (wohl ein älterer Mann) angespuckt habe… Das war der Punkt, wo ich nicht nur meinen eigenen Gedanken nicht folgen konnte, sondern den unüberwindbaren Impuls hatte, aufzustehen und das schädigende Wirken des Mannes zu unterbinden. Sei es auch mit Gewalt – ohne Rücksicht auf die Folgen! Ich konnte es nicht mehr anders.
Im hochaktiven Zustand der Kampfbereitschaft bin ich aufgestanden, habe mich zur Stelle des Geschehens gedreht und sah zunächst die bereits vom Hören vermutete Szene: Ein aggressiv wirkender Mann mittleren Alters über einem sitzenden älteren Herrn und eine oder zwei Frauen dazwischen. Ohne zu zögern mit einem sanften und zugleich verbindlichen Griff habe ich den schimpfenden Mann von der Streitstelle weggezogen und seine Aufmerksamkeit auf mich gelenkt. Ich sagte „Sprich mit mir – nicht mit dem älteren Mann.“ Er versuchte noch paar Mal sich zum älteren Mann zu drehen und ihn aufs Neue zu beschimpfen, doch mein beständiges Angebot, mit mir zu reden, kam bei ihm schon bald an. In dem Moment – als er etwas länger als eine Sekunde – mir in die Augen schaute, kam bei mir unerwartet die Frage auf, die ich sofort ausgesprochen habe: „Wie geht es Dir? Sag es mir!“ Meine Stimme war ruhig und ohne jegliche Verachtung, als wäre bis dahin noch nichts passiert.
Verbunden mit einem ruhigen und verbindlichen Auftreten, kontinuierlichen und ehrlichen Blick in die Augen machte diese Frage den Mann still und nachdenklich. Nun schaute er mich aufmerksam und ganzheitlich an – als wäre ich ein interessantes Kunstwerk in einer Galerie. Dann hob er still seine Hände, richtete den Kragen meines Hemds aus und sagte, ich sei ein guter Mann. Mittlerweile standen noch zwei Männer neben mir und schauten ihn feindlich an. Dann drehte er sich zur Schiebetür, schaute murmelnd mal durchs Fenster, mal auf mich… und ohne mir eine Antwort zu liefern… stieg weinend beim nächsten Halt aus.
Ich war verblüfft. Bei meinem emotional geprägten Aufstehen konnte ich mir alles Vorstellen, aber nicht so ein Ende der Situation. Ich glaube, ich habe nun intuitiv die für den Mann in dem Moment einzig wichtige Frage gestellt, die Ausdruck seines Bedürfnisses war.
Dieser Fall ereignete sich wenige Tage nach der praxisreichen Veranstaltung „Wertschätzende Kommunikation“ von Dunja Müller. Das war ein Kurs, der mir das Verständnis und ein Gespür für mein eigenes Handeln und das Handeln anderer Menschen gebracht hat. Wochen davor habe ich noch Einblicke in Mediation und Verhandlungstechnik gewonnen. Nun ist die Gewaltfreie Kommunikation – mein wichtigstes Buch des Lebens: Aufdecken der Bedürfnisse hinter den (un-)bewussten Handlungen macht mein Leben unvergleichbar einfacher und glücklicher!
Vielen Dank Frau Müller! – für die wirklich wichtigen Inhalte und für den tollen Kurs, den ich miterleben durfte!
Mit inspirierten Grüßen
Alexander